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GWP-Konflikte und Forschungsdaten

„Wissenschaftliche Integrität bildet die Grundlage einer vertrauenswürdigen Wissenschaft“, so schreibt es der Kodex Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in seiner Präambel. Im Forschungsalltag kommt es jedoch gelegentlich zu Konflikten oder Praktiken, denen ein Verstoß gegen die Gute Wissenschaftliche Praxis (GWP) zugrunde liegt. Die Bandbreite an nicht-GWP-konformen Praktiken ist dabei sehr groß, die Konsequenzen für Wissenschaft und Gesellschaft fallen entsprechend unterschiedlich aus. In der Theorie wird allgemein zwischen (schwerwiegendem) Fehlverhalten und fragwürdigen Forschungspraktiken unterschieden.[1] Welche Praktiken oder Verhaltensweisen genau als Fehlverhalten einzustufen sind und welche dagegen zu den fragwürdigen Forschungspraktiken zählen, variiert von Land zu Land und (Fach)Kultur zu (Fach)Kultur. Hinzu kommen GWP-Konflikte zwischen Forschenden, in denen der Verstoß gegen die GWP noch korrigiert werden kann. Im Folgenden sollen die verschiedenen Arten von GWP-Verstößen mit besonderem Augenmerk auf Forschungsdaten erklärt werden. Dieser Artikel fokussiert sich dabei auf die Forschungskultur in Deutschland. Für die Schweiz gibt es einen eigenen Artikel zu Research Ethics.

Wissenschaftliches Fehlverhalten

Laut den Erläuterungen zu Leitlinie 19 des DFG-Kodex kommen als wissenschaftliches Fehlverhalten "nur solche vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstöße in Betracht, die in einem Regelwerk niedergelegt sind." Das können die in § 21 Absatz 1 der Mustersatzung der Hochschulrektorenkonferenz zur Umsetzung der GWP an den Hochschulen genannten Beispiele sein: "wenn eine an der Hochschule wissenschaftlich tätige Person in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang vorsätzlich oder grob fahrlässig Falschangaben macht, sich fremde wissenschaftliche Leistungen unberechtigt zu eigen macht oder die Forschungstätigkeit anderer beeinträchtigt." Alle wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland haben eigene GWP-Satzungen, die die Leitlinien des DFG-Kodex umsetzen, aber leicht variieren können. In diesen finden sich u.a. Definitionen für Gute Wissenschaftliche Praxis sowie für wissenschaftliches Fehlverhalten.

Als Fehlverhalten in Bezug auf Daten gilt hier insbesondere das Erfinden und Fälschen von Daten sowie die unbefugte Beseitigung von Primärdaten. Ebenso können die Verletzung geistigen Eigentums (z.B. unbefugte Verwertung oder Weitergabe von Forschungsdaten), unbefugte Inanspruchnahme einer Autorschaft sowie Sabotage von Forschungstätigkeit (z.B. Manipulation von fremden Forschungsdaten oder von deren Dokumentation) darunterfallen. International wird der Begriff Fehlverhalten oft enger gefasst und orientiert sich an einer 1992 von der US-amerikanischen National Academy of Sciences geprägten Definition.[2] Diese umfasst die Erfindung und Fälschung von Forschungsergebnissen sowie Plagiate und wird basierend auf den englischen Begriffen Fabrication, Falsification, Plagiarism, häufig mit dem Kürzel FFP zusammengefasst.

Fragwürdige Forschungspraktiken

In Abgrenzung zu schwerwiegendem Fehlverhalten werden die sogenannten fragwürdigen Forschungspraktiken genannt (oft nach der englischen Bezeichnung questionable research practices zu QRP abgekürzt). Fragwürdige Forschungspraktiken werden im Spektrum zwischen Guter Wissenschaftlicher Praxis auf der einen und schwerwiegendem Fehlverhalten auf der anderen Seite meist in der Grauzone dazwischen verortet. Dabei besteht Uneinigkeit darüber, welche Praktiken unter den Begriff fallen. In Bezug auf Daten werden häufig Cherry Picking, p-hacking sowie HARKing genannt. Auch wenn sie kein schwerwiegendes Fehlverhalten darstellen, können fragwürdige Forschungspraktiken den Erkenntnisprozess in der Wissenschaft beeinträchtigen und damit auch weitreichende Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft mit sich bringen. Die National Academy of Sciences schlug deswegen 2017 vor, eher von schädlichen Forschungspraktiken (detrimental research practices) zu sprechen.[3] Insbesondere im Zuge der Replikationskrise wurden fragwürdige Forschungspraktiken auch im deutschen Diskurs vermehrt thematisiert.

Infokasten: Häufige QRP in Bezug auf Daten

Cherry Picking: Das gezielte Auswählen oder Weglassen von Datenpunkten um eine Hypothese zu belegen.

p-hacking: Die Manipulation von Daten (z.B. auch über das gezielte Auswählen oder Weglassen von Daten, das Nacherheben von Daten oder das Testen mehrerer Hypothesen nach der Datensammlung) um auf eine statistische Signifikanz von 0,05 zu kommen. Der berechnete p-Wert sagt dabei nichts über den Wahrheitsgehalt eines Resultates aus, sondern darüber, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die beobachteten Resultate kein Produkt des Zufalls sind.

HARKing: Hypothesizing After the Results are Known: nachträgliches Anpassen/Aufstellen von Hypothesen nachdem Daten erhoben worden sind.

Infokasten: Replikationskrise

Reproduzierbarkeit ist ein wichtiger Aspekt der empirischen Forschung. Seit den 2000ern besteht ein anhaltender Diskurs zur fehlenden Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen, insbesondere in der Psychologie, der Medizin, den Sozialwissenschaften und den Naturwissenschaften. Inzwischen hat sich zunehmend auch ein meta-wissenschaftlicher Zweig entwickelt, der sich mit den Gründen und Lösungsansätzen beschäftigt.

Korrigierbare GWP-Konflikte rund um Forschungsdaten

Abseits von Fehlverhalten und fragwürdigen Forschungspraktiken lassen sich weitere GWP-Konflikte in Bezug auf Forschungsdaten in der Wissenschaft beobachten. Dabei geht es oft um Fragen des Datenzugangs, der Datennutzung, des Teilens von Daten oder der Veröffentlichung von Daten. Manchmal werden diese Konflikte auch unter den Begriff QRP subsumiert. Im Unterschied zu den oben angeführten nicht-GWP-konformen Praktiken besteht hier jedoch das Potenzial einer Korrektur durch eine Vermittlung im Rahmen eines Ombudsverfahrens. So kann zum Beispiel eingegriffen werden, wenn:

  • einer Person unberechtigt der Datenzugang verwehrt wird.
  • in oder nach Umbruchsituationen (z.B. Stellen-, Arbeitsgruppen- oder Institutswechsel, Promotionsabschluss, Auslaufen der Stelle) der Datenzugang geregelt werden muss.
  • Differenzen über Datennutzung zwischen mehreren Personen entstehen.
  • Fragen aufkommen, mit wem (und wann) Daten geteilt werden müssen.

Wissenschaftler*innen, die in GWP-Konflikte oder Fehlverhalten involviert sind oder diese beobachten, finden weitere Informationen zum Thema im Artikel Vorgehen bei GWP-Konflikten.

Quellen

[1] Steneck, N. H. (2006). Fostering integrity in research: Definitions, current knowledge, and future directions. Science and Engineering Ethics, 12(1), 53–74. https://doi.org/10.1007/s11948-006-0006-y

[2] National Academy of Sciences, National Academy of Engineering, & Institute of Medicine. (1992). Responsible Science: Ensuring the Integrity of the Research Process: Volume I. National Academies Press. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK234525/ (abgerufen am 30.04.2024)

[3] Committee on Responsible Science, Committee on Science, Engineering, Medicine and Public Policy, & Policy and Global Affairs. (o. J.). Fostering Integrity in Research. The National Academies Press. https://nap.nationalacademies.org/read/21896/chapter/1

Weiterführende Literatur zum Thema Replikationskrise

Papier: "1,500 lift the lid on reproducibility"
Autorin: Monya Baker
Erscheinungsjahr: 2016
Link zum Papier

Blog: "Data Colada. Thinking about evidence, and vice versa"
Autor*innen: Uri Simonsohn, Leif Nelson und Joe Simmons
Erscheinungsjahr: aktiv
Link zum Blog

Projekt: "Reproducibility Project: Psychology"
Autor*innen: Diverse
Erscheinungsjahr: 2011-2016
Link zum Projekt

Projekt: "Reproducibility Project: Cancer Biology"
Autor*innen: Diverse
Erscheinungsjahr: etwa 2013-2021
Link zum Projekt